Hilfe in Katastrophen und Notlagen. Der Beitrag des Zivildienstes und seine Wurzeln (Teil 1)

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Meldungen über Naturkatastrophen erreichten uns häufig. Bei Katastrophen und Notlagen Unterstützung zu leisten, gehört auch zu den Aufgaben des Zivildienstes. Im Vergleich zu seinen anderen Tätig-keitsbereichen – insbesondere dem Gesundheitswesen, Sozialwesen, Umwelt- und Naturschutz – ist der Tätigkeitsbereich aber klein und unbekannt. Im vergangenen Jahr leisteten Zivis nur 0,1 % aller geleisteten Diensttage (rund 1700 Diensttage) in dem Bereich. Dabei handelte es sich um Diensttage, die im Rahmen der Vorbeugung von Katastrophen geleistet wurden, sowie um Einsätze bei Pilotprojekten, um die Einsatzfähigkeit des Zivildienstes in dem Bereich zu verbessern. Obwohl die meisten Zivis nie solche Einsätze leisten, ist der gesetzliche Auftrag an den Zivildienst klar: Im Bedarfsfall muss er Hilfe leisten. Wie kommt es zu diesem Tätigkeitsbereich?

Gemeinnützige und staatliche Hilfe im 19. Jahrhundert
Die Organisation der Katastrophenhilfe ist komplex. In der Vergangenheit war oft der Ernstfall Treiber neuer Entwicklungen. Im 19. Jahrhundert bildeten sich etwa bei Bergstürzen oder bei Überschwemmungen gemeinnützig organisierte, kantonale und später national organisierte zivile und militärische Strukturen aus.

Ein interessantes Beispiel für das Zusammenspiel liefert das Jahr 1834, als die Alpenkantone Graubünden, Tessin, Wallis und Uri in der damals politisch gespaltenen Schweiz von einer grossen Überschwemmung heimgesucht wurden. Das Ausmass an benötigter Hilfe und der Koordinationsbedarf waren gross. Diese Koordination übernahm die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG). Ein von kantonalen SGG-Vertretern getragenes Hilfskomitee bildete sich, SGG-Experten reisten in die Schadensgebiete, um den Bedarf an Unterstützung abzuklären. Sie koordinierten die Ressourcenverteilung und berücksichtigten die jeweils unterschiedlichen kantonalen Verteilungswünsche. Die Bewältigung dieser Katastrophe zeigte in der noch vorbundesstaatlichen Schweiz einen neuen Grad an Organisation an der Schnittstelle von freiwilliger Gemeinnützigkeit und kantonal organisierter Hilfe. Nach der Gründung des Bundesstaates wuchs dieser Grad an Organisation langsam und schrittweise.

Professionalisierung im 20. Jahrhundert
Anfangs des 20. Jahrhunderts führten Kriege und Krisen zu neuen Bestrebungen der Professionalisierung. Nach dem Ersten Weltkrieg begannen vermehrt auch internationale Organisationen sich für Katstrophen und Notlagen zu interessieren. 1927 entstand etwa auf Betreiben des italienischen Senators und Rotkreuzpräsidenten Giovanni Ciraolo die «Union Internationale de Secours», deren Ziel es war, internationale Hilfe bei Katastrophen und Notlagen zu koordinieren. Es wuchs allmählich auch das Interesse an der Prävention von Katastrophen. Internationale Entwicklungen beeinflussten nationale Diskussionen. Ein Beispiel dafür ist der Diskurs von Expertinnen und Experten über den Schutz der Zivilbevölkerung.

Das internationale humanitäre Völkerrecht hatte im Ersten Weltkrieg Lücken offenbart. Namentlich die Gruppe der Zivilbevölkerung war rechtlich weitgehend ungeschützt. Gleichzeitig entstanden neue Möglichkeiten der Kriegsführung durch die Entwicklung von Giftgas und Flugtechnik. Vor diesem Hintergrund ratifizierte die Schweiz 1932 das 1925 verabschiedete Genfer Protokoll über das Verbot der Verwendung von chemischen und biologischen Waffen. Die Ratifikation hatte Folgen: Im Jahr 1934 wurde der militärisch organisierte passive Luftschutz für die Zivilbevölkerung – ein Vorläufer des Zivilschutzes – ins Leben gerufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand dann der Zivilschutz, der seit 1959 in der Bundesverfassung verankert ist. Bis zur Entstehung des Zivildienstes im Jahr 1996 verstrichen weitere 37 Jahre.

Der Streifzug durch zwei Jahrhunderte zeigt, dass sich zunächst private und zivilgesellschaftliche, später auch staatliche und militärische Elemente bei der Bewältigung von Katastrophen und Notlagen herausbildeten und ergänzten. Ihr Zusammenspiel war nicht nur von inneren organisatorischen Überlegungen bestimmt, sondern massgeblich von äusseren Entwicklungen geprägt, bspw. von weiteren Katastrophen oder von neuen (Hilfs-)Techniken. Insgesamt gibt es wenig Forschung über die langfristigen geschichtlichen Entwicklungen und Zusammenhänge solcher Hilfsdispositive in der Schweiz.

Teil 2 (14.8.2018)


Weiterführende Literatur

  • Der Bundesrat: Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Petition betreffend die Zivildienst-pflicht, in: Bundesblatt, (3/38), 1924, S.381-398.
  • Der Bundesrat: Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren für die Schaffung eines Zivildienstes (sog. Münchensteiner Initiative), in: Bundesblatt, (1/5), 1973, S. 89-113.
  • Der Bundesrat: Botschaft zum Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst (Zivildienstgesetz, ZDG) vom 22. Juni 1994, in: Bundesblatt, (3/40), 1994, S. 1609-1762.
  • Deville, Joe (et al.): Organising Disaster: Civil Protection and the Population. A report for practitioners, London 2016.
  • Ernst Basler + Partner: Bedarf an Einsätzen von Zivildienstleistenden bei Katastrophen und Notlagen, Studie im Auftrag der Vollzugsstelle für den Zivildienst, 2013.
  • Jenni, Karin: Zivildienst als Friedensdienst: Die Tätigkeiten des SCI für einen anerkannten Zivildienst, Lizentiatsarbeit 2008, Universität Freiburg.
  • Nienhaus, Agnes: «Gemeinnützige Katastrophenhilfe als Anstoss für staatliches Handeln in der Schweiz der ers-ten Hälfte des 19. Jahrhunderts», in: traverse (13/1), 2006, S.63-76.
  • Schemper Lukas: «La prévention des catastrophes naturelles et les organisations internationales du temps de la SdN au lendemain de la guerre froide - Quelle place pour l’environnement ?», in : Revue Études internationales, (42/1), 2016, S.29-55.
  • Vollzugsstelle für den Zivildienst: Geschäftsbericht 2016
  • Zeugin, G.: «Der Zivildienst in den Niederlanden», in: ASMZ, (77/12), 1931, S.617-621.

Letzte Änderung 14.08.2018

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