Der Zivildienst und die Hilfe in Katastrophen und Notlagen. Anmerkungen zur Geschichte (Teil 2)

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Die Verankerung des Tätigkeitsbereichs Katastrophen und Notlagen im Zivildienstgesetz 1996 mag vor diesem Hintergrund jung erscheinen. Aber sie hat nicht ganz zufällig Eingang ins Gesetz gefunden. Denn der Grundgedanke, zivile Unterstützung des Bundes bei Katastrophen vorzusehen, kam bereits lange vor der Entstehung des Zivildienstes auf und zeigt sich bei frühen Versuchen, Dienstverweigerer zu entkriminalisieren und mit sinnvollen Aufgaben zu betrauen. In einer 1923 eingereichten Petition von Hans Amberg, Pierre Cérésole, Karl von Greyerz und Leonhard Ragaz zur Einführung eines Zivildienstes war dessen Sinn und Zweck umrissen als «(…) körperliche und geistige Erziehung, Pflege kameradschaftlicher Gesinnung und tatkräftiger Liebe zu Heimat und Volk, und im besondern eine Arbeitsleistung im Geiste der gegenseitigen Hilfe. Als solche kommen zum Beispiel in Betracht: Erstellung von Verkehrswegen, wasser-, forst- und alpwirtschaftliche Arbeiten, Hilfsdienst bei Seuchen, Naturkatastrophen usw.»

Das Anliegen der Petition fand keine Mehrheit. Hingegen hatte Pierre Cérésole schon drei Jahre zuvor mit dem «Service civil international» (SCI) eine Freiwilligenorganisation gegründet, die bereits im November 1920 Wiederaufbauarbeit im französischen Esnes leistete und danach weitere Einsätze vor allem der Unterstützung bei Naturkatastrophen widmete. Vier Jahre nach Gründung des SCI leisteten die Freiwilligen Katastrophenhilfe, als in der Waadt Lawinen ein Haus und das Umland zerstörten. Auch in den Folgejahren kam es regelmässig zu Hilfseinsätzen bei Naturkatastrophen im In- und Ausland.

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgten weitere Vorstösse zur Einführung eines staatlichen Zivildienstes als Lösung des Problems der Militärdienstverweigerung – etwa die Motion von André Oltramare (1946), die parlamentarische Initiative von Alfred Borel (1967) oder das Volksbegehren zur Einführung eines Zivildienstes 1973 (sog. «Münchensteiner Initiative»). Sie enthielten aber lediglich Grundsätze der Organisation eines Zivildienstes und machten keine spezifischen Aussagen zu dessen Tätigkeit.

Der Zivildienst heute: Ergänzende Unterstützung bei Katastrophen und Notlagen
Mit Blick auf die 1920er Jahre erstaunt es nicht, dass der Bundesrat in seiner Botschaft zum Zivildienstgesetz 1994 schrieb: «Der Zivildienst soll zwar wie die Armee einen Beitrag an die allgemeine Existenzsicherung der Schweiz und ihrer Bevölkerung leisten, jedoch nur im rein zivilen Bereich. Die Vorkehren in den Bereichen der Sicherheitspolitik und der Gesamtverteidigung sind auf die Bewältigung von Katastrophen und Krisen ausgerichtet. Sie können jedoch nicht sämtliche Gefährdungen umfassend bewältigen, mit denen die Schweiz und ihre Bevölkerung konfrontiert werden können, insbesondere dann nicht, wenn es sich um Daueraufgaben handelt. (…) Sie können weitere Mittel gebrauchen. Der Zivildienst bietet Möglichkeiten zu ihrer Entlastung.» Der Tätigkeitsbereich «Katastrophenhilfe» – wie er zu Beginn hiess – war in der parlamentarischen Beratung zwar umstritten, doch das Gesetz wurde mit diesem Bereich verabschiedet.

Neuere Forschungsberichte (Deville et al. 2016) über länderspezifische Eigenheiten bei der Bewälti-gung von Katastrophen und Notlagen streichen historische, kulturelle und materielle Faktoren heraus, um bestehende Hilfsdispositive zu erklären. Der vorliegende Beitrag versuchte historischen Wurzeln von Zivi-Einsätzen im Bereich von Katastrophen und Notlagen nachzugehen. Es zeigt sich, dass das Zusammenspiel von gemeinnützigem und staatlichem Handeln eine lange Tradition hat und auch in der Organisation von Zivildiensteinsätzen Niederschlag findet: Wenn Zivis bei Katastrophen oder Notlagen Einsätze leisten, erfüllen sie damit ihre Dienstpflicht nach Artikel 59 Absatz 1 der Bundesverfassung; sie wählen solche Einsätze aber in der Regel aus Eigeninitiative. Die Motivation und der Gedanke der Gemeinnützigkeit haben entsprechend grosses Gewicht. Die Zuteilung respektive Umteilung von Zivis zu Einsätzen in Katastrophen oder Notlagen ist gesetzlich zwar vorgesehen, die Vollzugsstelle für den Zivildienst musste aber noch nie zu diesem Mittel greifen.

Teil 1 (7.8.2018)


Weiterführende Literatur

  • Der Bundesrat: Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Petition betreffend die Zivildienst-pflicht, in: Bundesblatt, (3/38), 1924, S.381-398.
  • Der Bundesrat: Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über das Volksbegehren für die Schaffung eines Zivildienstes (sog. Münchensteiner Initiative), in: Bundesblatt, (1/5), 1973, S. 89-113.
  • Der Bundesrat: Botschaft zum Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst (Zivildienstgesetz, ZDG) vom 22. Juni 1994, in: Bundesblatt, (3/40), 1994, S. 1609-1762.
  • Deville, Joe (et al.): Organising Disaster: Civil Protection and the Population. A report for practitioners, London 2016.
  • Ernst Basler + Partner: Bedarf an Einsätzen von Zivildienstleistenden bei Katastrophen und Notlagen, Studie im Auftrag der Vollzugsstelle für den Zivildienst, 2013.
  • Jenni, Karin: Zivildienst als Friedensdienst: Die Tätigkeiten des SCI für einen anerkannten Zivildienst, Lizentiatsarbeit 2008, Universität Freiburg.
  • Nienhaus, Agnes: «Gemeinnützige Katastrophenhilfe als Anstoss für staatliches Handeln in der Schweiz der ers-ten Hälfte des 19. Jahrhunderts», in: traverse (13/1), 2006, S.63-76.
  • Schemper Lukas: «La prévention des catastrophes naturelles et les organisations internationales du temps de la SdN au lendemain de la guerre froide - Quelle place pour l’environnement ?», in : Revue Études internationales, (42/1), 2016, S.29-55.
  • Vollzugsstelle für den Zivildienst: Geschäftsbericht 2016
  • Zeugin, G.: «Der Zivildienst in den Niederlanden», in: ASMZ, (77/12), 1931, S.617-621.

Letzte Änderung 14.08.2018

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