«Der Zivildienst war für mich eine tolle Erfahrung fürs Leben», schreibt Davide Martini. Zwanzig Jahre nach seinem ersten Einsatz erinnert sich der Tessiner noch immer gerne an seine Zivildienstzeit. Er war einer der ersten Zivildienstleistenden des Kantons Tessin.
Nach der Rekrutenschule habe ich den Militärdienst verweigert. Dafür musste ich vor Gericht meine religiösen Überzeugungen darlegen, was mich zusätzlich darin bestärkt hat. Als ich vors Militärgericht ging, hatte sich das Gesetz gerade erst geändert. Der Richter gab mir zwei Möglichkeiten: Entweder sollte ich am Verfahren teilnehmen und meinen Entscheid mündlich verteidigen oder ich sollte meine Überzeugungen schriftlich per Brief erklären. Ich entschied mich für die mündliche Variante. Das Urteil lautete: ein im Vergleich zu meinen verbleibenden Militärdiensttagen anderthalbmal so langer Zivildiensteinsatz. Das alles liegt schon weit zurück, aber ich denke immer noch gerne daran.
Erster Einsatz im Jahr 1996
Im Jahr 1996 begann ich mit meinem Zivildienst. Ich hatte entschieden, jedes Jahr je nach Möglichkeit einen Einsatz von ein oder zwei Monaten zu absolvieren. Ich habe viele gute Erinnerungen an diese Zeit, auch wenn es manchmal anstrengend war. Als Geschäftsleiter in einem Kleinunternehmen legte ich die Zivildiensteinsätze auf den Sommer. Meine zweiwöchigen Sommerferien nutzte ich jeweils zu 100 Prozent für den Zivildienst; die restlichen zwei Wochen waren dann sehr intensiv: Bevor ich morgens im jeweiligen Einsatzbetrieb des Zivildienstes anfing, ging ich ins Büro. Abends war es dasselbe. Trotzdem würde ich es sofort wieder tun. Dank dem Zivildienst konnte ich Sachen machen, die ich normalerweise nie gemacht hätte.
Einsätze mit älteren Menschen
Im Altersheim beispielsweise war ich dafür zuständig, vor den Mahlzeiten die Tische zu decken und sie danach abzuräumen; ich musste die Küche aufräumen, Kartoffeln schälen… Sogar einige Rezepte durfte ich ausprobieren, wie etwa Brotkuchen (torta di pane) oder Polenta. Ich arbeitete mit dem Küchenpersonal und den Reinigungskräften zusammen. Bei der Polenta erinnere ich mich, dass sie in einem grossen Kupferkessel gekocht wurde. Einmal putzte ich den Kupferkessel wirklich gut, damit auch kein Rest mehr am Boden des Kessels zurückblieb. Allerdings vergass ich, den Kessel danach noch einmal auszuspülen! Zum Glück merkten es die Köche, sonst wäre die nächste Polenta den armen Bewohnerinnen und Bewohnern des Altersheims wohl weniger gut bekommen…
Für so viele Personen Brotkuchen zu machen, war auch ein besonderes Erlebnis: Ich verrührte alle Zutaten in einem riesigen Behälter, was zugegebenermassen einiges an Kraft brauchte. Angenehm war es im Sommer jeweils, im Keller in den Kühlräumen Lebensmittel holen zu gehen. Das war eine richtige Erfrischung! Mit den Köchen traf ich mich auch ausserhalb der Arbeitszeiten. Einige haben mich zum Grillieren und zum fröhlichen Beisammensein zu sich nach Hause eingeladen. Einmal suchte das ganze Personal des Heims nach einem der Bewohner und auch ich half mit. Zum Glück ging alles gut aus! Er war nur etwas länger spazieren gegangen und hatte damit ganz ungewollt alle in Panik versetzt. Das liegt nun schon zwanzig Jahre zurück und ich erinnere mich nicht mehr so genau an alles. Aber das, woran ich mich noch erinnern kann, macht mir Lust, gleich wieder Zivildienst zu leisten.
Der Zivildienst als wertvolle Erfahrung
Dank des Zivildiensts konnte ich Menschen kennenlernen, die schon viel erlebt hatten, obwohl sie teils noch sehr jung waren. Besonders gut erinnere ich mich an die Zeit, in der ich während des Krieges in Ex-Jugoslawien beim Roten Kreuz in Lugano arbeitete. Damals lernte ich Jugendliche kennen, die auf unvorstellbare Weise ihr Leben riskiert hatten, um in die Schweiz zu gelangen. Ein Jugendlicher aus Afrika hatte miterlebt, wie seine ganze Familie getötet wurde. Nie werde ich die Stunden vergessen, die ich mit diesen Jugendlichen verbracht habe. Sie haben mir sehr viel gegeben, vielleicht sogar mehr als ich ihnen geben konnte. Ein anderer Einsatz in einer Einrichtung für Drogenabhängige hat mir gezeigt, wie zerstörerisch Drogen aller Art wirken können. Auch das war eine wichtige Erfahrung.
Ich denke auch oft an all diejenigen, die Vollzeit im sozialen Bereich arbeiten, sei es mit älteren Menschen, mit Flüchtlingen oder mit Personen, die aufgrund ihrer Probleme in die Abhängigkeit geraten sind. Vom Zivildienst können alle profitieren: diejenigen, die – wie ich aus Gewissensgründen – Zivildienst leisten, genauso wie diejenigen, denen unser Einsatz zugutekommt. Das sind oft ältere Menschen mit einer grossen Lebenserfahrung, von der die jüngeren viel lernen können, wenn sie sich die Zeit zum Zuhören nehmen; oder jugendliche Flüchtlinge aus Kriegsgebieten, die ihre Familie zurücklassen mussten, sofern sie überhaupt noch lebt.
Autor
Davide Martini war einer der ersten Zivildienstleistenden im Kanton Tessin. Er hat unter anderem einen Einsatz im Altersheim «Casa anziani Bellinzona» absolviert. Davide Martini ist Inhaber und Geschäftsführer der «Martini Water GmbH».
Letzte Änderung 13.07.2016