Mit Pickel und Schaufel für den Frieden

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Dem anerkannten Zivildienst ging ein über hundertjähriger Kampf voraus. Mit zahlreichen Petitionen, Vorstössen, Initiativen und Aktionen wurde ein Zivildienst für Militärdienstverweigerer aus Gewissensgründen gefordert, bis dieser in der Schweiz im Jahre 1996 zur Realität wurde. Eine Organisation, die sich schon früh für den Zivildienst – im Sinne eines Friedensdiensts – einsetzte, ist der «Service Civil International» (SCI).

Entstehung und Ziele des Service Civil International

Gegründet wurde die Organisation vor über neunzig Jahren mit dem Ziel, eine «Friedensarmee» aufzubauen. Sie setzte sich zum Ziel, den Militärdienst durch den Friedensdienst zu ersetzen. Der Name der Organisation verrät dabei bereits einiges: Oberste Priorität beim SCI hat der Service, der freiwillige Dienst. Mittels praktischer Arbeit soll der SCI über trennende Grenzen hinweg eine neue Gesinnung verbreiten, die Gewalt immer weniger annehmbar machen würde. Dies wird auch mit dem Symbol der Organisation verdeutlicht: einem Spaten mit zerbrochenem Schwert. Der vom SCI praktizierte Freiwilligendienst steht dem Militärdienst gegenüber und sollte damit Civil sein. Von grosser Wichtigkeit für den SCI ist auch seine Internationalität, gegeben durch das internationale Netzwerk der SCI-Zweige und durch die Vernetzung mit anderen Organisationen wie dem Internationalen Versöhnungsbund. International ist der SCI vor allem mit den Freiwilligendiensten, die wo immer möglich von Menschen aus verschiedenen Ländern besucht werden. Nur mit internationalen Kontakten könne Verständnis und Anerkennung von Menschen verschiedenster Herkunft gefördert werden, und nur so könnten Vorurteile, Feindbilder und nationalstaatliches Denken abgebaut werden.

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Mit Pickel und Schaufel am ersten Modell-Zivildienst in Vers L’Eglise (VD) 1924 (zvg)

Erste Schritte zu einer SCI-Bewegung waren Versammlungen, die Pierre Cérésole ab Mitte des Ersten Weltkrieges organisierte. Dabei machte er wichtige Bekanntschaften wie diejenige mit Hélène Monastier und Leonhard Ragaz. So kam er in Berührung mit dem in England entstandenen internationalen Versöhnungsbund. An der zweiten Versammlung dieses Versöhnungsbundes 1920 in Holland ermahnte ein junger Deutscher namens Walter Koch die Anwesenden, es sei genug geredet worden und den Worten über Versöhnung müssten nun Taten folgen. Noch im selben Jahr reisten Pierre Cérésole, Ernst Cérésole, Hubert Parris, Maria van der Linden und weitere Freiwillige unter dem Motto «Taten statt Worte» nach Esnes bei Verdun und leisteten dort einen ersten internationalen Freiwilligendienst im Sinne des SCI. Provisorische Heimstätten wurden gebaut, Strassen neu angelegt, zertrümmerte Häuser weggeräumt, Felder gepflügt und anderes mehr. Die Episode des jungen Deutschen, der die Versammlung zu Taten aufgerufen hatte, wurde zum Gründungsmythos des SCI. Sehr viel Bedeutung wird dem Gründer Pierre Cérésole zugemessen. Seine Ideen waren allerdings nicht völlig neu, sondern wurden teils schon von anderen Organisationen vorgelebt. So verfolgten beispielsweise der Internationale Versöhnungsbund (IFOR) seit 1919 und die Internationale der Kriegsdienstgegner (IdK) seit 1921 pazifistische Ziele, und die Methode des Freiwilligendienstes wurde bereits von den Quäkern angewandt. Neu waren der Anspruch, durch vorgelebte internationale Freiwilligendienste den Militärdienst zu ersetzen, und der Vorsatz, die Hilfstätigkeit nicht an ein ideologisches oder religiöses Bekenntnis zu binden.

Petition für die Einführung eines Zivildienstes und Einsatz nach Lawinenunglück

Zusammen mit Leonhard Ragaz, Hans Amberg und Karl von Greyerz lancierte Cérésole Anfang der zwanziger Jahre eine Petition für die Einführung eines Zivildienstes. Die Petition wurde von 40 000 Personen unterzeichnet. Cérésole wollte ergänzend zur Petition aktiv aufzeigen, wie ein Zivildienst aussehen könnte und was Militärdienstverweigerer zu leisten bereit wären. Schon die blosse Existenz einer «Zivildienst»-Gruppe konnte laut Cérésole einen Einfluss auf die Entwicklung eines Zivildienstes und auf die internationale Organisation von gegenseitiger Hilfe sein. Als sich in Les Ormonts ein Lawinenunglück ereignete, sah Pierre Cérésole die Gelegenheit, den Politikern und Militärstrategen zu beweisen, dass ein Zivildienst möglich und sinnvoll wäre; er wollte Militärdienstverweigerer bei Aufräumarbeiten einsetzen. Gemeinsam mit anderen Freundinnen und Freunden eines Zivildiensts machte er einen Aufruf und suchte Freiwillige. 1924 entstand dadurch ein sogenannter Modell-Zivildienst in Vers L’Eglise (VD), an dem zahlreiche Militärdienstverweigerer teilnahmen. Lange zeigte sich der SCI als Organisation bei politischen Vorstössen und Debatten zurückhaltend, organisierte aber diverse praktische Einsätze. Ein grosser Einsatz mit über 300 Teilnehmenden fand 1924 nach einem Erdrutsch in Someo im Maggiatal statt. Nationalrat Peter Bratschi schrieb in einem Brief über diesen Einsatz:

«Leute der verschiedensten Berufsarten kamen in Someo zusammen, studierte und unstudierte, junge und alte, deutsche und welsche. (...) Auch die verschiedensten politischen und religiösen Anschauungen waren da vertreten, aber alle erfüllt von einem Geist, vom Geist der Solidarität. (...) Der Zivildienst in Someo unterschied sich gewaltig vom Militärdienst: am Abend konnten wir auf eine geleistete nützliche Arbeit zurückblicken; wir hatten einen Schutthaufen weggeräumt, einen Graben aufgeworfen oder eine Mauer erstellt. (...) Someo hat uns ein Beispiel gegeben, wie die Zusammenarbeit aller Kräfte Grosses wirken, wie durch den Zivildienst nach und nach der Militärgeist ausgerottet werden kann. (...) Statt dass wir einander zerfleischen in Hass und Krieg, sollten wir eine Arbeitsgemeinschaft bilden.» (zit. nach «Cérésole», Franz Kobler et al. (Hg.), in: Gewalt und Gewaltlosigkeit, Handbuch des aktiven Pazifismus, 1928, S. 338f.)

Es folgten zahlreiche weitere Einsätze, von denen hier nur einige wenige genannt werden, um einen kleinen Einblick in die ersten Tätigkeitsfelder zu erhalten: 1926 in Almens (GR), wo Wasser-, Schlamm- und Gesteinsmassen das Dorf schwer zerstört hatten; 1927 in Feldis (GR), wo eine Alpweide von Gestrüpp befreit wurde; 1928 in Liechtenstein, wo nach einem Unwetter 710 Freiwillige aus 20 Ländern die Landfläche wieder urbar machten (vgl. Bietenholz-Gerhard Alfred, Pierre Cérésole. Der Gründer des Freiwilligen Internationalen Zivildienstes, 1962, S. 55ff.). Räumungsarbeiten nach Naturkatastrophen waren im SCI lange Zeit von grosser Bedeutung. Als diese von professionelleren Organisationen übernommen wurden, zog sich der SCI daraus zurück und wurde in anderen Tätigkeitsfeldern, beispielsweise in der Entwicklungshilfe beziehungsweise in der Entwicklungszusammenarbeit oder in der humanitären Hilfe aktiv.

Der Beitrag des SCI zur Einführung eines staatlich anerkannten Zivildienstes

Die Hauptschwerpunkte des SCI rund um die Diskussion eines anerkannten Zivildienstes lagen bei Zivildienstkonzepten, bei den Modell-Zivildiensten und bei der weiteren Öffentlichkeitsarbeit in Form einer Ausstellung und der Zivildiensttage. Bei all seinen Tätigkeiten legte der SCI Wert darauf, seine Erfahrungen aus den Freiwilligendiensten in die Diskussion einfliessen zu lassen und die theoretische Diskussion mit der praktischen Umsetzung zu verbinden. Dabei gelang dem SCI ein Spagat zwischen Utopie und Realität: Der SCI strebte nie nur einen Zivildienst an, um Gefängnisstrafen für Militärdienstverweigerer zu verhindern. Der Zivildienst sollte so gestaltet sein, dass er gleichzeitig einen Dienst am Frieden leistet. Angestrebt wurden stets der weltweite Frieden und zu diesem Zweck eine aktive Friedenspolitik. Mit seinem Modell-Zivildienst zeigte der SCI anhand konkreter Beispiele erste Schritte zum weit entfernten und utopisch anmutenden Ziel eines weltweiten Friedens auf.

Wie gross der Einfluss des SCI auf die Einführung des Zivildienstes tatsächlich war, ist schwierig abzuschätzen. Schliesslich waren auch zahlreiche andere Komponenten für die Einführung – beziehungsweise für die lange Nicht-Einführung – verantwortlich: die Wahrnehmung der Armee und der allgemeinen Wehrpflicht durch die Bevölkerung (35,6 Prozent stimmten 1989 für die Abschaffung der Armee) oder die Einschätzung der Bedrohungslage (Ende des Kalten Krieges). Zudem war die Schweiz eines der letzten europäischen Länder ohne einen anerkannten Zivildienst. Sie geriet allmählich unter Zugzwang, andere Lösungen als die Verurteilung für Dienstverweigerer zu finden.

Der SCI konnte sich schon früh als Zivildienstbewegung etablieren und vermochte zahlreiche Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen für die Freiwilligendienste zu motivieren. Die Freiwilligen waren der Motor der Bewegung. Sie wurden jeweils von unterschiedlichen Motivationen angespornt. In den ersten Jahrzehnten halfen Freiwillige massgeblich aus pazifistischen Gründen oder aufgrund des Bedürfnisses, bei Katastrophen Hilfe zu leisten. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Beweggründe eher: Spass haben, etwas lernen, Entwicklungshilfe leisten und sich antimilitaristisch engagieren. Ab den Siebzigerjahren waren verstärkt «die Möglichkeit zu reisen» und «fremde Kulturen kennen lernen» Ansporn. Pazifistische und antimilitaristische Motive waren jedoch während der ganzen Zeit verbreitet – am stärksten dann, wenn kriegerische Auseinandersetzungen die Schweiz tangierten, soziale Bewegungen die Bevölkerung mobilisierten oder auf politischer Ebene für den SCI relevante Themen wie der Zivildienst behandelt wurden.

Zwar wurde der SCI oft für seine Idee einer «Friedensarmee» belächelt, aber er schaffte es immer wieder, mit dem Einsatz von Freiwilligen, die den Tatbeweis erbrachten, auch politisch Andersdenkende zu beeindrucken. Bei den Diskussionen über die Einführung eines Zivildienstes konnte dem SCI niemand seine diesbezüglichen Erfahrungen absprechen. Ein anerkannter Zivildienst war beim SCI konstant ein Thema und verbindendes Element der Einfluss nehmenden Persönlichkeiten.

Der SCI konnte also sicherlich einiges dazu beitragen, dass der Zivildienst von einem immer grösseren Teil der Bevölkerung als durchführbar angesehen wurde – auch wenn sich diese über die Ausgestaltung des Dienstes uneinig war. Letztlich ist folgende Selbsteinschätzung des SCI zutreffend: «Der Modellcharakter von guten SCI-Einsätzen war schon immer unser wichtigster Beitrag zur Zivildienstdiskussion.» (SCI-Bulletin, Januar 1991, Nr. 225, 6)

Autorin

15_Karin_Jenni
Foto: Sandra Julius

Karin Jenni hat in Fribourg Zeitgeschichte, Religionswissenschaften und Sozialanthropologie studiert und 2008 ihr Studium mit der Lizentiatsarbeit «Zivildienst als Friedensdienst: Die Tätigkeiten des SCI für einen anerkannten Zivildienst» abgeschlossen. Sie arbeitet heute bei der Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers.

Letzte Änderung 10.03.2020

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